5 - Eine Quelle der Kreativität

Ein Seher Dichter

Sri Chinmoy ist ein geborener Dichter. Nicht nur ein Dichter, sondern auch ein Seher-Dichter. Ein Seher-Dichter ist jemand, der die höchste Wahrheit schaut.

Indien blickt auf eine lange Tradition von Seher-Dichtern zurück. Die Weisen, die die Veden und Upanischaden niederschrieben, waren Seher-Dichter höchster Ordnung, die ihre Erkenntnisse in Tausenden und Abertausenden von Sanskrit-Slokas wiedergaben.

Wenn ein sehr kraftvolles Wort oder ein Satz viele Male wiederholt wird, wird daraus ein Mantra. Diese Mantras helfen uns beträchtlich in unserem inneren Leben.

Seit er ein kleiner Junge war, schrieb Sri Chinmoy viele Gedichte und Gebete auf Bengali. Später, als er die englische Sprache gut beherrschte, erhielt er die Inspiration, sein erstes Gedicht auf Englisch zu schreiben. Er war damals erst zweiundzwanzig Jahre alt, und dies ist das Gedicht, das er verfasste:

The Golden Flute

A sea of Peace and Joy and Light
Beyond my reach I know.
In me the storm-tossed weeping night
Finds room to rage and flow.

I cry aloud, but all in vain;
I helpless, the earth unkind!
What soul of might can share my pain?
Death-dart alone I find.

A raft am I on the sea of Time;
My oars are washed away.
How can I hope to reach the clime
Of God’s eternal Day?

But hark! I hear Thy golden Flute;
Its notes bring the Summit down.
Now safe am I, O Absolute!
Gone death, gone night’s stark frown!

Die Goldene Flöte

Ein Meer von Frieden, Freude,
Licht in ew’ger Fern’ ich weiß.
In mir sturmtosend Tränen-Nacht
fließt wütend, macht sich breit.

Ich schreie laut, doch ach, umsonst;
ich hilflos, herzlos die Welt.
Welch mächt’ge Seele teilt meine Pein?
Ich fand nur Todespfeil.

Ein Floß bin ich auf dem Meer der Zeit;
meine Ruder hinweggespült.
Wie kann ich hoffen auf Ankunft
im Land von Gottes Ew’gem Tag?

Doch horch! Ich hör’ Deine Goldene Flöte;
ihr Klang bringt den Gipfel herab.
Gerettet bin ich, o Absoluter!
Verschwunden sind Tod, und grollend Blick der Nacht!

Sri Chinmoys drittes englisches Gedicht, das ungefähr zur gleichen Zeit entstand, bringt die Erfahrung der Erleuchtung zum Ausdruck. Während es einen Zustand beschreibt, der den Erfahrungsbereich der meisten Menschen übersteigt, haben seine erhabenen Worte die Kraft, unser Bewusstsein weit über unser normales Denken hinaus zu erheben.

The Absolute

No mind, No form, I only exist;
Now ceased all will and thought.
The final end of Nature’s dance,
I am It whom I have sought.

A realm of Bliss bare, ultimate;
Beyond both knower and known;
A rest immense I enjoy at last;
I face the One alone.

I have crossed the secret ways of life,
I have become the goal.
The Truth immutable is revealed;
I am the way, the God-Soul.

My spirit aware of all the hights,
I am mute in the core of the Sun.
I barter nothing with time and deeds;
My cosmic play is done.

Das Absolute

Kein Verstand, keine Form, nur noch reines Sein;
verebbt alles Wollen und Denken.
Das letzte Ende des Tanzes der Natur,
ich bin Es, das ich gesucht.

Ein Reich reiner, äußerster Seligkeit;
jenseits von Wissendem und Gewusstem;
immense Rast genieße ich endlich
dem Einen allein blick ich ins Angesicht.

Die geheimen Lebenswege bin ich gegangen,
zum Ziel bin ich geworden.
Die unwandelbare Wahrheit ist enthüllt;
ich bin der Weg, die Gott-Seele.

Mein Geist ist sich aller Höhen bewusst,
stumm weile ich im Herzen der Sonne.
Zeit und Handeln sind mir fremd geworden,
mein kosmisches Spiel ist vollbracht.

Als Sri Chinmoy nach Amerika kam, entdeckte er, dass dieses dynamische junge Land nach einer neuen Art von Dichtung dürstete. Er begann Gedichte zu schreiben, die sehr kurz und direkt sind. Bisweilen identifiziert er sich dabei mit dem Auf und Ab eines Sucherlebens, während er uns in anderen Gedichten und Aphorismen seinen erleuchtenden Rat und seine Weisheit schenkt.

Um seine Gedichte noch kraftvoller und prägnanter zu machen, führte Sri Chinmoy zusammengesetzte Hauptwörter ein. Dabei werden zwei oder mehrere Substantive durch einem Bindestrich miteinander verbunden und erschaffen gemeinsam neue Bedeutungsebenen. In der Vergangenheit haben nur sehr wenige Dichter im Englischen zusammengesetzte Substantive benutzt. Sri Chinmoy hat sie sich auf einzigartige Weise zu eigen gemacht.

Insgesamt hat Sri Chinmoy bis heute über 109.000 Gedichte geschrieben. Hier sind einige Beispiele seiner modernen Dichtkunst:

Sail beyond the sunrise-sky
Reach the Pinnacle-Goal
Before the sunset-cry.

Segle über den Sonnenaufgangs-Himmel hinaus.
Erreiche das Gipfel-Ziel
vor dem Sonnenuntergangs-Ruf.

God wants
Each and every aspiring heart
To be a universal peace-shrine.

Gott will,
dass jedes strebende Herz
ein universeller Friedens-Schrein ist.

A gratitude-heart
Is the master key
That opens up all the rooms
Of God’s Heart-Palace.

Ein Dankbarkeits-Herz
ist der Hauptschlüssel,
der alle Räume
in Gottes Herzens-Palast öffnet.

To serve my Maker-Lord
I saw the light of day.
To love my Beloved Friend
I began our oneness-play.

Um meinem Schöpfer-Herrn zu dienen
erblickte ich das Licht der Welt.
Um meinen Geliebten Freund zu lieben,
begann ich unser Einsseins-Spiel.

Im Januar 1998 begann Sri Chinmoy ein Projekt von epischen Dimensionen. Sein Ziel: eine spezielle Reihe von 77.000 Gedichten zu schaffen. Im August 2004 hatte er die Hälfte des Wegs zurückgelegt. Wer weiß, wann und wo er das Projekt zu Ende bringen wird!

Sri Chinmoy scheint so viele Träume zu haben, die noch zu verwirklichen sind. Ein Gedicht, das er vor vielen Jahrzehnten in Indien schrieb, schenkt uns einen wertvollen Einblick in seine innere Welt. Das Gedicht heißt „Unsterblichkeit“. Dies ist der letzte Vers:

My eternal days are found in speeding time;
I play upon His Flute of rhapsody.
Impossible deeds no more impossible seem;
In birth-chains now shines Immortality.

„Meine ewigen Tage ruh’n in eilender Zeit;
ich spiel’ auf Seiner Flöte der Rhapsodie.
Unmögliche Träume scheinen unmöglich nicht mehr;
in Geburtsketten erstrahlt nun Unsterblichkeit.“

Sri Chinmoy hat uns gezeigt, was es wirklich heißt zu sagen:
„Unmögliche Taten scheinen nicht mehr unmöglich zu sein.“

Vorträge voller Weisheit

Sri Chinmoys erstes im Westen geschriebenes Buch mit dem Titel „Food for the Soul“ (Nahrung für die Seele) wurde 1970 veröffentlich. Bis zum heutigen Tage sind mehr als 1.500 Bücher von ihm erschienen. Sie umfassen Gedichte, Vorträge, Schauspiele, Kurzgeschichten und Antworten auf Fragen.

Sri Chinmoys direktester Weg, seine tiefe spirituelle Botschaft Suchern im Westen weiterzugeben, waren seine Vorträge.

Nachdem Sri Chinmoy das Indische Konsulat verließ, begab er sich auf eine lange Vortragsreise. Wie ein Vogel reiste er durch ganz Nordamerika und hielt Vorträge an den größeren Universitäten. Manchmal gab er zwei oder drei Vorträge im Lauf eines einzigen Tages!

Sein Weg führte ihn auch ins Ausland, zuerst auf die Karibischen Inseln, dann auf die Philippinen, nach Japan, nach Großbritannien und Europa.

Sri Chinmoys erster Universitätsvortrag fand am 10. Januar 1968 an der Universität der Westindischen Inseln in Jamaica statt. Er trug den Titel: „Spiritualität: Was ist sie und was ist sie nicht?“ In den Vereinigten Staaten hielt Sri Chinmoy seinen ersten Universitätsvortrag am 4. Dezember 1968 an der Yale Universität in Connecticut. Der Vortrag hieß: „Gottes Traumboot und des Lebensboot des Menschen.“

Diesen Vortrag eröffnete Sri Chinmoy mit den Worten:

„Es gibt immer eine ausgleichende Kraft, auch bei Gott! Gott hat mich nicht mit einem Hochschulabschluss oder einem Diplom gesegnet. Nicht einmal mit einem höheren Schulabschluss. Doch in Seiner unendlichen Güte hat er mein suchendes Herz mit der Gelegenheit gesegnet, Ihm in den Suchern nach der unendlichen Wahrheit zu dienen.“

In seinen Vorträgen vermittelt Sri Chinmoy vor allem eine Botschaft - die uralte Botschaft der Upanischaden: „Atmanam viddhi - Erkenne dich selbst.“ Sri Chinmoy ermutigt Sucher überall, tief nach innen zu tauchen und die ewigen Wirklichkeiten des inneren Lebens zu entdecken.

Dr. Russell Barber, ehemaliger Religions-Redakteur beim NBC, einem der großen nationalen Fernsehsender in den Vereinigten Staaten, und zugleich langjähriger Freund Sri Chinmoys, bemerkte einmal:

„Ein vollkommener Gedanke ist nutzlos, solange er nicht kommuniziert wird. Sri Chinmoy ist der vollkommene Gedanke, kommuniziert durch Liebe.“

Ein Höhepunkt von Sri Chinmoys Vorträgen über die Jahre hinweg waren seine Besuche an den renommierten britischen Universitäten von Oxford und Cambridge. Diese beiden Universitäten haben eine ganz besondere Verbindung zu Indien, denn an ihnen studierten viele große indische Persönlichkeiten.

Im Jahr 2003 besuchte Sri Chinmoy zum neunten Mal die Universität von Cambridge. Er hielt eine kleine Zeremonie am King’s College, das ihm besonders heilig ist, weil dort von 1890 bis 1892 Sri Aurobindo studierte. Bei dieser Gelegenheit spielte Sri Chinmoy auf seiner Esraj und würdigte danach zahlreiche Professoren verschiedener Fakultäten. Mit Hilfe einer speziell konstruierten Vorrichtung zum Gewichtheben stemmte er sie über den Kopf in die Höhe und überreichte ihnen den „Lifting Up the World with a Oneness-Heart“-Award, eine Auszeichnung für Menschen, die „die Welt mit einem Einsseins-Herzen emporheben“.

Später schrieb Sir Patrick Bateson, der Dekan des King’s College und Professor der Ethologie, in einem Brief an Sri Chinmoy:

„Wir alle, die wir hier in Cambridge mit Ihnen zusammengetroffen sind, waren tief beeindruckt von Ihrer Ruhe und Präsenz.“

Dr. Ajit Singh, Professor der Wirtschaftswissenschaften, erklärte:

„Ich denke, Sri Chinmoys Wirken ist von allergrößter Bedeutung.“

Gleichzeitig fand auch Sri Chinmoys neunter Besuch in Oxford statt. Wieder spielte er auf seiner Esraj vor den ehrwürdigen Professoren und würdigte sie, indem er sie emporhob.

Dr. Martin Kemp, Professor der Kunstgeschichte, sagte zu Sri Chinmoy:

„Sie haben sich auf eine unermesslich wichtige Suche begeben, und ich hoffe, Sie werden sie noch viele Jahre weiter verfolgen. Es ist eine Suche, wie ich glaube, im Geiste Leonardo da Vincis und im Geiste all derer, die nach der Einheit in der Vielfalt streben.“

Während eines Besuchs in Russland im Mai 2004 hielt Sri Chinmoy eine Reihe von Vorträgen an den Universitäten von St. Petersburg und Moskau auf ausdrückliche Einladung der Fakultäten beider Universitäten. Eine der Einladungen hatte für Sri Chinmoy eine besonders tiefe persönliche Bedeutung. Sie kam von der ehrwürdigen Moskauer Lomonosov Staats-Universität, an der Sri Chinmoys geliebter Bruder-Freund Präsident Michail Gorbatschow und seine Gattin Raissa Maximowna studiert hatten. Die Universität hatte Sri Chinmoy gebeten, über „Freiheit“ zu sprechen, und er widmete diesen Vortrag Präsident Gorbatschow, den er „den größten Führer der Menschheit“ nennt.

Himmlische Musik

Auf musikalischem Gebiet ist Sri Chinmoy Autodidakt. Sein musikalischer Ansatz ist intuitiv. Wenn er ein bestimmtes Instrument mag, wird er üben und üben, bis er fähig ist, die einzigartige „Stimme“ dieses Instruments zum Vorschein zu bringen.

Sein Lieblingsinstrument ist die Esraj, ein schlankes Saiteninstrument aus Nordindien. Sie wurde das erste Mal am Hof des großen Mogulkaisers Akbar gespielt, der sie über alles liebte. Sri Chinmoy begann mit dem Esrajspiel im Jahr 1976.

Sri Chinmoy nennt sich bescheiden einen „Universaldillettanten“ - einen „jack of all trades and master of none“. Seinem musikalischen Geist bereitet es immense Freude, unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten zu erkunden. Sri Chinmoy spielt regelmäßig auf dem Cello, auf Querflöte, Bambusflöte, Violine, Harmonium, Synthesizer, hawaiianischer Gitarre und Klavier.

1995 wollte Sri Chinmoy zu Ehren des 50. Jahrestages der Vereinten Nationen auf hundertfünfzig Instrumenten spielen. Innerhalb weniger Tage begann eine Vielzahl der unterschiedlichsten Musikinstrumente von seinen Schülern aus den verschiedenen Ländern hereinzuströmen und verwandelte sein kleines Haus in ein Paradies für Musikliebhaber!

Am Morgen des 25. November 1995 begann Sri Chinmoy um 9:05 Uhr im Auditorium einer lokalen Schule mit dem Konzert und spielte bis 23:20 Uhr am Abend! Vierzehn Stunden erschienen wie vierzehn goldene Jahre. Mit seiner Musik malte Sri Chinmoy eine Karte der Welt.

Bei seinen Konzerten spielt Sri Chinmoy seine eigenen lyrischen Kompositionen und Improvisationen. Wenn er auf dem Piano oder der Orgel improvisiert, scheint ein inneres Wesen seine Hände zu führen. Er wirft keinen Blick auf die Tasten, sondern befindet sich in einem Zustand meditativer Versenkung, während seine Finger mit unvorstellbarer Geschwindigkeit und Kraft über die Tasten springen.

Nachdem er 1987 Sri Chinmoys Improvisation auf der Orgel des berühmten Sydney Opera Houses gehört hatte, schrieb der bekannte New Age-Musiker und Musikkritiker Lee Underwood:

„Sri Chinmoys Improvisationen sind göttlich inspirierte Musik, die etablierte akademische Konventionen zerschmettert und die Seele in den Himmel erhebt.“

Seit 1984 gibt Sri Chinmoy Friedenskonzerte auf der ganzen Welt, zu denen der Eintritt stets frei ist. Bei diesen Konzerten spielt Sri Chinmoy auf 15 bis 20 Musikinstrumenten und erschafft eine sehr erhebende spirituelle Atmosphäre. Die Konzerte finden in der Regel in großen Konzert- oder Sporthallen statt, damit möglichst viele Menschen daran teilnehmen können. Sri Chinmoys größtes Konzert aller Zeiten im Jahr 2000 in Montreal zählte über 19 000 Besucher. Zu einem anderen großen Konzert 2004 in Prag kamen 15.000 Zuhörer, von denen viele aus den Nachbarländern angereist waren.

Eine tiefe Bedeutung haben für Sri Chinmoy auch die Konzerte, die er in renommierten Konzertsälen wie der Royal Albert Hall in London, der Carnegie Hall in New York, der Nippon Budokan Halle in Tokio und in Le Zenith in Paris geben durfte.

Sri Chinmoys Friedenskonzert in Washington D.C. 1995 wurde von Seiner Exzellenz Siddhartha Shankar Ray, dem indischen Botschafter in den USA, mit folgenden Worten eröffnet:

„Sri Chinmoy ist ein Genie mit vielen Facetten, eine vielfältig strahlende Persönlichkeit - dazu ein Dichter, ein Künstler, ein Musiker und ein Sportler ebenso wie ein spiritueller Führer. Er ist die Verkörperung von Rabindranath Tagores unsterblicher Idee des universellen Menschen.“

Nachdem er Sri Chinmoy 2004 spielen hörte, schrieb der weltbekannte Flötist Paul Horn, ein sehr enger Freund Sri Chinmoys, an ihn:

„Das Konzert heute abend war so rein und so inspiriert, es kam aus dem tiefsten Teil Deiner Seele. Das Instrument war eine Erweiterung Deines höchsten, innersten Selbst und berührte uns alle auf unserer tiefsten Ebene.“

Heute, mit 75 Jahren, erweitert Sri Chinmoy noch immer sein musikalisches Repertoire. Inspiriert durch Maestro Ravi Shankar begann Sri Chinmoy 2003 mit dem Sitarspiel, und 2005, während seiner Chinareise, begann er die zweisaitige Erhu oder Chinesische Violine zu spielen.

Der Komponist Sri Chinmoy

Mutter Indien hat viele Komponisten höchsten Ranges. Rabindranath Tagore, Kaji Nazrul Islam und Subramaniam Bharati gehören zu dieser Galaxie der Unsterblichen. Sri Chinmoy ist ein Erbe dieser glorreichen Tradition. Bis zum 13. Juli 2006 schrieb er 20.250 devotionale Lieder. Diese unterteilen sich in 13.000 Lieder in bengalischer Sprache, 7.037 auf Englisch, 180 in Sanskrit und 33 auf Französisch.

Sri Chinmoy hat einmal gesagt, dass er in der inneren Welt ständig Musik hört. Manchmal, wenn er komponiert, weiß er nicht, wo ein Lied endet und das nächste beginnt. Die Melodien sind wie Flammen, die in seinem Herzen aufsteigen.

Sri Chinmoy liebt es besonders, seine Schüler Lieder zu lehren, während er sie gerade komponiert, ganz in der alten indischen Tradition. Seine Schüler lernen die Lieder erst auswendig und schreiben sie später in westlicher Notenschrift nieder. Auf diese Weise haben seine Schüler im Westen Tausende von Bengali Songs gelernt.

Neben seinen spirituellen Liedern hatte Sri Chinmoy die Inspiration, über 560 Personen mit einem eigens für sie geschriebenen Lied zu würdigen. Diese Personen kommen aus allen Lebensbereichen, doch sie haben eines gemeinsam: Jede von ihnen hat etwas sehr Bedeutsames getan, um zur Verbesserung unserer Welt beizutragen. Einige, wie Beethoven oder Einstein, sind große Persönlichkeiten der Vergangenheit, während andere, wie Präsident Gorbatschow, zeitgenössische Persönlichkeiten auf der Weltbühne sind, die Sri Chinmoy mit großer Aufrichtigkeit bewundert.

Eine weitere Dimension von Sri Chinmoys Kompositionen offenbart seine Liebe und Anteilnahme für die Nationen der Welt: Er hat auch für viele, viele Länder Lieder geschrieben. Sie sind sein besonderes Geschenk an das jeweilige Land, und sie betonen die einzigartigen Qualitäten, die das Land verkörpert.

Und zuletzt - vielleicht am wichtigsten - hat Sri Chinmoy als Ausdruck seiner Liebe und Verehrung jedem der Avatare oder Inkarnationen Gottes Lieder gewidmet. Sri Ramachandra, Sri Krishna, Buddha, Jesus Christus, Sri Chaitanya, Sri Ramakrishna, Sri Aurobindo und viele andere spirituelle Persönlichkeiten höchster Ordnung wurden von ihm auf diese Weise verehrt.

Die Sri Chinmoy Bhajan Singers

1982 begann eine spezielle Musikgruppe, Sri Chinmoys Bhajans aufzuführen, das heißt Lieder, die den indischen kosmischen Göttern und Göttinnen gewidmet sind. Die Sri Chinmoy Bhajan Singers sind eine wahrhaft internationale Gruppe mit etwa fünfzig Mitgliedern unter der Leitung von Ranjana Ghose, Sri Chinmoys Assistentin und Kuratorin der Jharna Kala-Stiftung.

Quellen-Kunst

Es war der 19. November 1974, und Sri Chinmoy hielt sich in seinem Hotelzimmer in Ottawa, Kanada, auf. Draußen war es kalt und nieselte. Doch Sri Chinmoy fühlte einen inneren Auftrag, hinaus zu gehen und Zeichenstifte und Papier zu kaufen. So ging er los, um ein paar einfache Malutensilien zu besorgen, und kehrte wieder in sein Hotelzimmer zurück. Dort begann er, eine wunderbare filigrane Rose zu zeichnen. Seine bedeutsame Reise in die Welt der Kunst hatte begonnen.

Sri Chinmoy taufte seine Kunst „Jharna-Kala“, Bengali für „Quellenkunst“ - Kunst, die wie ein Springbrunnen aus der Quelle der Schöpfung hervorströmt.

Er tauchte tief in dieses neue Projekt ein und malte in seinem Haus in New York oft ganze Nächte durch. Er liebte es, bunte Acrylfarbe zu verwenden und benutzte Meeresschwämme, Bürsten und Pinsel aller Formen und Größen und sogar seine Fingerspitzen, um die Farbe aufzutragen.

Am 3. Oktober 1975 vollendete Sri Chinmoy sein 100.000stes Bild, und am 16. November des gleichen Jahres stellte er einen neuen persönlichen Rekord auf, indem er 16.031 Bilder in nur vierundzwanzig Stunden schuf.

Am 29. April bearbeitete Sri Chinmoy eine 3,6 x 8,2 m große Leinwand. Er nannte das Bild „Größer als das Größte“. Als Henry Geldzahler, der Kurator der Kunstsammlung des 20. Jahrhunderts am Metropolitan Museum of Art in New York das Werk sah, rief er aus:

„Dieses Bild ist erstaunlich! Ein Universum, kompakt!“

Sri Chinmoys Bilder, inzwischen über 200.000, wurden auf der ganzen Welt ausgestellt. Erst vor kurzem, im Mai 2005, wurde eine Auswahl von Sri Chinmoys Gemälden und Zeichnungen im Karussell du Louvre in Paris gezeigt. Andere wichtige Ausstellungen fanden an den Vereinten Nationen in New York statt, an der UNESCO in Paris, im amerikanischen Senatsgebäude in Washington, D.C., im australischen Parlament in Canberra, in der Nationalgalerie in Ottawa, in der Galerie „The Mall“ in London und am Commonwealth-Institut in Edinburgh.

Es scheint unmöglich, dass ein einziger Mensch so viel vollbringen kann, vor allem wenn man bedenkt, dass das Malen nur ein Aspekt von Sri Chinmoys Aktivitäten ist. Sri Chinmoy hofft, dass seine Bilder Menschen dazu inspirieren werden, für einen Augenblick in ihrem geschäftigen Alltag inne zu halten, um sich der Schönheit und des Reichtums des inneren Lebens gewahr zu werden.

Präsident Gorbatschow hat mit glühenden Worten über Sri Chinmoys künstlerisches Werk geschrieben:

„Ihre Gemälde voller Leben und Licht hinterließen in mir und in Raissa einen ganz erstaunlichen Eindruck. Ihre Kunst hat die Kraft zu inspirieren und dient zugleich einem hohen Ziel - der spirituellen Erneuerung der Menschheit.“

Millionen von Vogel-Zeichnungen

Gegen Ende des Jahres 1991 besuchte Sri Chinmoy die Mittelmeerinsel Malta. Am 29. Dezember nahm er einen kleinen Notizblock aus seiner Tasche und zeichnete mit einem Kugelschreiber einige schnelle Linien darauf. Die aufstrebende Gestalt eines Vogels wurde sichtbar. Dann folgte ein weiterer Vogel und noch einer und noch einer! In kürzester Zeit entstanden Hunderte von Vögeln.

Sri Chinmoys Vogel-Zeichnungen sind sehr schlicht und sehr elegant. Einige Kunstkritiker bemerkten, dass sie wie wunderschöne Kalligrafien wirken. In der Regel braucht Sri Chinmoy nur einige wenige Sekunden, um die fließenden und tanzenden Linien zu zeichnen, die den Vogel ausmachen. Zum Schluss fügt er das Auge des Vogels hinzu.

Sri Chinmoy erklärt, warum er das Vogelthema gewählt hat:

„Wenn Vögel im Himmel fliegen, erinnern sie uns an die Seele, die jeder von uns verkörpert. Meine Seele, Ihre Seele, die Seele jedes Menschen ist aus dem Himmel ins Dasein getreten. Wenn wir an diese Vögel denken, wächst in uns eine Sehnsucht, zur Quelle zurück zu kehren.“

Während eines Aufenthaltes auf den Fiji-Inseln vollendete Sri Chinmoy am 5. Januar 1994 eine Million Vogelzeichnungen. Im März und April desselben Jahres wurden all diese Zeichnungen in Ottawa ausgestellt. Sri Chinmoy arbeitete weiter und erreichte seine zweite Million Vogelzeichnungen am 1. April 1994 und am 16. Juli 1994 seine dritte Million. Heute beziffern sich seine Vogelzeichnungen auf ungefähr 15 Millionen, und es ist noch lang kein Ende in Sicht.

Alle Bilder und Vogelzeichnungen Sri Chinmoys werden dank der Kuratorin des Sri Chinmoy Museums, Ranjana Ghose, sorgfältig an verschiedenen Orten in New York aufbewahrt. Seit Sri Chinmoy mit seinem künstlerischen Werk begann, hat sie ihn am stärksten in seiner Arbeit ermutigt und unterstützt.

Manche Menschen sind der Auffassung, dass Qualität und Quantität nicht Hand in Hand gehen können, doch Sri Chinmoy ist anderer Ansicht. Er glaubt, dass jemand, der tief inspiriert ist, seiner inneren Stimme folgen und seelenvoll zu Gott beten sollte, damit Er die Verantwortung für die Qualität übernehmen möge. Sri Chinmoy schreibt:

„Ich bin verantwortlich für die Quantität. Mein Innerer Pilot, mein zutiefst mitleidsvoller Höchster Herr, ist verantwortlich für die Qualität!!!“

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