Wie betrachten Sie die augenblickliche Lage der Menschheit? Die Welt entzweit sich. Wie würden Sie den Ausbruch von Feindlichkeit und Brutalität auf der Welt erklären, der überall anzutreffen ist? Können Sie sich hierfür irgend eine Lösung vorstellen?
Sri Chinmoy: Sie meinen, dass sich die Welt entzweit. Doch ich möchte dazu sagen, dass dies eine sehr, sehr alte Geschichte ist. Wir glauben an die Wiedergeburt. Vor drei- oder vierhundert Jahren, als wir in einem anderen Körper und in einem anderen Teil der Welt gelebt haben, hätten wir dasselbe gesagt. Direkt vom Beginn der Schöpfung an hat unser trennender Verstand uns in den Glauben versetzt, dass unsere Welt voller Dunkelheit ist, dass unsere Welt zugrunde geht oder dass sie dabei ist, zerstört zu werden. Wenn wir unsere Eltern und Großeltern fragen, erzählen sie uns dieselbe Geschichte. Manchmal empfinden sie eine Art Vergnügen dabei, wenn sie ihre Kinder schimpfen und betonen, wie gut die alten Zeiten waren: „Ihr seid so schlecht, so nutzlos! Zu unserer Zeit war alles viel besser.“ Aber Unvollkommenheit kommt nicht von Vollkommenheit. Nein, auch in jenen Tagen stritten sich die Menschen und bekämpften sich die ver-schiedenen Länder.
Wir können niemals sagen, dass es zu Zeiten unserer Großeltern und Urgroßeltern keinen Neid, keine Un-sicherheit, keinen Zweifel und keine Verdächtigung gab. Wir können niemals sagen, dass in jenen Tagen goldene Zeiten herrschten, während heute überall Dunkelheit dominiert. Nein, der Unterschied zwischen früher und heute ändert sich nur sehr langsam. Wir können sagen, dass wir vor zwei Jahren mehr Konflikte hatten, mehr Katastrophen, mehr Missverständnisse. Oder wir können sagen, dass es damals äußerst schlimm war und jetzt ein wenig besser ist. Wir können jedoch meiner Meinung nach nicht sagen, dass die Welt heute am untersten Punkt ihres Bewusstseins angelangt ist und alles weit jenseits jeder Verbesserungsmöglichkeit liegt.
Als Stalin noch lebte, sagten die Leute dasselbe: „Ach Gott, alles ist so schlecht, so schlecht.“ Das Lied der Weltzerstörung begann vielleicht an dem Tag, als die Welt erschaffen wurde. Jeden Tag sehen wir Leben und Tod. Jeden Tag, den wir leben, rücken wir unserem Tod näher. Deshalb ist die Botschaft des Todes ein Teil des Lebens. Aber wir glauben nicht, dass der Tod das Ende ist. Wir glauben, dass wir nach dem Tod an einen Ort gehen, um uns auszuruhen. Später, nach einer gewissen Zeit, beginnen wir ein neues Leben.
Gott gebrauchte Seine Allmacht, um die Welt zu erschaffen. Er kann Seine Allmacht ebenso dazu gebrauchen, um uns zu vervollkommnen. Doch um uns zu vervollkommnen, braucht Er unsere Bereitschaft, unseren Willen und unseren Eifer. Wenn Er von uns ein wenig guten Willen und Eifer erhält, wird es für Ihn unendlich viel leichter, die Welt besser, seelenvoller und friedvoller zu machen. Jetzt steckt die Welt voll Leiden. Aber der Tag muss kommen, an dem es keine Konflikte mehr gibt. Weil Gott selbst voller Liebe und voller Weisheit ist, wird diese Welt, unsere Welt, mit Sicherheit in ein Königreich der Freude, des Glücks und der Erfüllung verwandelt werden.
In unserem äußeren Leben sind wir sehr begrenzt. Wir sind voller Unsicherheit, Neid, Unreinheit, Zweifel und vielen anderen negativen Eigenschaften, die wir bewusst und vorsätzlich hegen. Doch wir besitzen noch ein anderes Leben, das wir als das innere Leben bezeichnen. Dort sind wir voller Liebe zu Gott und voller Anteilnahme für die Menschheit.
Unser inneres Leben, welches das Leben des Einsseins ist, ist unser wahres Leben. Gegenwärtig schätzen wir leider nur unser äußeres Leben, das voller Begrenzungen und Unvollkommenheiten ist; wir treten nicht in unser inneres Leben ein, um zu sehen, wer wir wirklich sind.
Wir müssen das innere Leben der Strebsamkeit, der Widmung und der Verwirklichung ganz als unser eigen annehmen. Wenn wir das innere Leben und die innere Wirklichkeit als unser Eigen annehmen können, werden wir in näherer oder fernerer Zukunft vorbildliche Menschen sein und gute Dinge für die Menschheit tun. Die Lösung für alle Probleme der Welt liegt also in unserem Bestreben, bessere Menschen zu werden. Wie können wir bessere Menschen werden? Wir können es nur, indem wir an ein Einseins-Herz denken, für ein Einsseins-Herz beten und auch tatsächlich das Leben eines Einsseins-Herzen leben.